[Original works from the Stanley Kubrick Estate.
Stanley Kubrick and Geoffrey Unsworth developed a system for calculating from the grey tones of b/w Polaroids the right lighting for filming
2001: A SPACE ODYSSEY.]
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Kino
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.06.2003, Nr. 134, S. 41
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Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen
In den Armen eines gutmütigen Riesenkraken: Das Deutsche Filmmuseum Frankfurt sichtet auf dem Landsitz St. Albans den Nachlaß des Regisseurs Stanley Kubrick
Als Stanley Kubrick am 7. März 1999 starb, wurde sein plötzlicher Tod zu einem weiteren Stein in einer Legende, an der schon seit Jahren gebaut wurde. Es ist, bei aller Ehrfurcht, ein eigentümlich düsteres Bild, das sich sogar seine Bewunderer von Kubrick machen. Ein genialer Regisseur, der abgeschottet und menschenscheu nur in seinen Filmen lebte, die von Zeit zu Zeit, dem Monolithen in "2001 - Odyssee im Weltraum" ähnlich, in die Welt einschlugen. Die spärlichen Informationen, die über sein Leben bekannt wurden, und die vielen Gerüchte um Projekte, die er angeblich begonnen und liegengelassen hatte, lassen auch vier Jahre nach seinem Tod für Spekulationen Raum.
Die Wahrheit liegt auf jenem Landsitz in St. Albans unweit von London, der seit den achtziger Jahren Kubricks Wohn- und Arbeitsplatz war. Dort lagert einer der wohl umfangreichsten Nachlässe der Filmgeschichte. Für eine Ausstellung, die das Deutsche Filmmuseum Frankfurt zusammen mit dem Deutschen Architekturmuseum im kommenden Frühjahr zeigen wird, sichtet der Filmwissenschaftler Bernd Eichhorn nun Kubricks Material. Es ist eine merkwürdige Suche nach Schätzen in einem labyrinthischen Schatzhaus. Sie fördert beinahe täglich auratische Gegenstände zutage: Das berühmte "Starchild" aus "2001" ebenso wie Kostüme aus "Barry Lyndon" oder das Manuskript aus "The Shining", das den immergleichen Satz enthält: "All work and no play, makes Jack a dull boy" ("Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen"). Fast jeder Fund beantwortet offene Fragen - nach der Person Kubricks wie nach seiner Arbeitsweise.
Schon der Schauplatz ist geeignet, hohe Erwartungen entstehen zu lassen. Zum häufig kolportierten Bild des Eremiten Kubrick paßt er ganz und gar nicht. Das von üppigen Rhododendren umsäumte Idyll löst beinahe alle Klischees ein, die bei Kontinentaleuropäern entstehen, wenn sie zuviele englische Kriminalromane lesen. Ein eisernes Tor bietet Einlaß in Kubricks Welt, zu der eine beinahe verspielt gewundene Straße führt.
Das mehrstöckige, säulenverzierte Herrenhaus zeigt die Spuren ehrwürdigen Alterns ebenso wie seine unbekümmerte Nutzung als Familienwohnsitz und Arbeitsplatz. In den ausgedehnten Nebengebäuden werkelt ein Schreiner, nebenan sitzt eine junge französische Filmstudentin im Schneideraum und produziert mit Hilfe von Kubricks Schwager Jan Harlan einen Kurzfilm. Zwei geräumige Container stehen ein wenig abseits wie gestrandet. In der Remise wird der seit Jahren nicht mehr benutzte Kamerawagen, das Chassis eines 2CV, neben Gartengerätschaften aufbewahrt. Soeben hat er einen neuen Anstrich bekommen. Seit sich die Erben, die von Jan Harlan vertreten werden, entschlossen haben, Kubricks Nachlaß aufzuarbeiten, ist eine Betriebsamkeit zu spüren, die ahnen läßt, wie es gewesen sein muß, als der Regisseur dort im Kreise seiner Lieben arbeitete.
Auf dem akkurat gemähten Rasen hinter dem Haupthaus, in einem Gitterrund in einer Ecke des Gartens, liegt Stanley Kubrick begraben. Unter dem Schatten einiger hoher Bäume markiert ein großer Findling die Ruhestätte. Im Hintergrund ziehen gemächlich Kühe über die Weide. Die Fensterfront der Küche weist zum Garten. Wie seit jeher versammeln sich Gäste und Mitarbeiter zur Mittagszeit mit der Hausherrin um den langen Küchentisch. Wer inmitten jener aufgeräumten Gastfreundlichkeit den Blick hebt, schaut auf Kubricks Grab. Der Gatte, Freund und Arbeitgeber ist nicht wegzudenken.
Sein Werk hat sich auf dem Gelände ausgebreitet wie eine gutmütige Riesenkrake. Wenn die Malschüler von Kubricks Frau Christiane das Atelier aufsuchen, flanieren sie an der Axt vorbei, mit der Jack Nicholson in "The Shining" den kleinen Danny verfolgt. Doch der nonchalante Umgang mit solchen Erinnerungsstücken täuscht nicht über die Sorgfalt hinweg, mit der Kubricks Erben seine Hinterlassenschaft pflegen und weiterführen. Es ist eine ernsthafte und doch heitere Kreisbahn um eine immer noch präsente Sonne.
Die Gründlichkeit, mit der Kubrick alles sammelte oder sammeln ließ, was mit seinen Filmen zu tun hatte, entbehrt bisweilen nicht einer gewissen Komik. So scheint es zugleich äußerst wichtig und völlig gleichgültig gewesen zu sein, was über seine Filme geschrieben wurde: In Regalen lagern unberührte Belegexemplare von Kubrick-Monographien in dutzendfacher Ausfertigung neben geradezu grotesken Mengen identischer Zeitschriften-Ausgaben, in denen Interviews mit Kubrick oder Rezensionen seiner Filme erschienen waren. Gleich nebenan trägt eine Kiste die Aufschrift "CWO - Hostile Publicity, U.K., Originals". "CWO", "A Clockwork Orange" war von Kubrick 1974 nach verletzenden Kritiken in England aus dem Verleih genommen worden und erst im Jahr 2000 wieder in dortigen Kinos zu sehen.
Kubrick, der einmal sagte, bei der Herstellung eines Films gehe es darum, daß der Regisseur so viele richtige Entscheidungen wie möglich treffe, hat jede seiner Entscheidungen dokumentiert. Anhand seines Nachlasses kann man die Entstehung seiner Filme minutiös nachzuvollziehen: Von der Lektüre einer Romanvorlage, wie etwa Stephen Kings "Shining", die Kubrick im Januar 1977 mit Leuchtstift und Kugelschreiber durchgeackert hat, bis hin zur Kontrolle der ungeliebten Synchronfassungen. Die, so belegt es ein ganzer Raum voller Unterlagen, hat sich Kubrick ins Englische rückübersetzen lassen. Einen Synchronisationsfehler hätte er nicht geduldet.
Vor allem aber sind es Entscheidungen, die rückgängig gemacht wurden, die nun ein neues Licht auf Kubricks Arbeit werfen. Ein Stapel aquarellierter Set-Entwürfe zeigt, wie "2001" ursprünglich hatte aussehen sollen. Sogar die Wolken sollten in kontrollierten Formationen am Himmel schweben. Zeichnungen und Polaroids von Kostümen stachliger Monster finden sich ebenso wie Probeaufnahmen mit einem bizarren "Polkadot Man". Einige der Entwürfe ähneln den Figuren in "A. I." - als hätte Steven Spielberg, der das Filmprojekt von Kubrick übernahm, auch ein paar Anregungen aus dessen Archiv mitbekommen.
Allein die Vorarbeiten zu der Verfilmung von "Lügen in Zeiten des Krieges" die Kubrick Anfang der neunziger Jahre plante, füllen mehrere Dutzend durchnumerierter Kartons. Von "Slovakia/Hungary, Countrysides, Rivers etc." über "German Military" bis zu "Hairstyles" ist alles recherchiert, was Kubrick benötigt hätte, um mit den Dreharbeiten beginnen zu können. Vier lange, merkwürdig flache Holzkoffer, die Kubrick eigens anfertigen ließ, enthalten schmale, eng beschriebene Plastikstreifen, auf denen angeblich der Drehplan notiert ist. Wirklich lesen konnte sie vermutlich nur Kubrick selbst. Lange vor der Erfindung des PCs hat er mit Buchstaben- und Zahlenkombinationen gearbeitet, die an eine Computersprache erinnern.
Das Ordnungssystem für sein wohl am meisten von Geheimnissen umranktes Vorhaben ist dagegen erstaunlich schlicht gehalten, wenn auch von beeindruckenden Ausmaßen. Ein riesiger Zettelkasten bildet den Ausgangspunkt für Kubricks Recherchen zu seinem Film über Napoleon. Über jeden Tag seines Lebens ist eine eigene Karte angelegt. Jahrzehntelang hatte Kubrick an dem ehrgeizigen Vorhaben gearbeitet, das Leben des französischen Kaisers in einem Opus magnum von drei Stunden Länge darzustellen. Immer wieder war das Projekt angekündigt worden, bis der Mißerfolg von Sergej Bondartschuks "Waterloo" (1971) die Produzenten davor zurückschrecken ließ, das Mammutvorhaben zu verwirklichen. Kaum jemals ist ein Filmvorhaben so lange Zeit nach seinem Scheitern noch diskutiert worden. Zu reizvoll erscheint der Gedanke eines Kräftemessens zwischen dem Giganten Kubrick und dem Giganten Napoleon. Inzwischen haben Jan Harlan und Christiane Kubrick angekündigt, das Napoleon- Projekt in Buchform veröffentlichen zu wollen.
Harlan hat nicht übertrieben, als er in Interviews nach Kubricks Tod vom größten privaten Napoleon-Archiv der Welt sprach. Dazu kommen die Recherchen zu Drehorten und Schauplätzen, mit denen 15 Mitarbeiter zwei Jahre lang beschäftigt waren - für etwa 5,5 Millionen Dollar Vorproduktionskosten. Das Napoleon-Material allein wäre eine eigene Ausstellung wert. Sieben Monate lang hat ein Mitarbeiter die rund achtzehntausend Posten des Bildarchivs gesichtet und digitalisiert, von Portraits des Kaisers und seiner Entourage bis zu Landschaftsskizzen und Zeichnungen, die Napoleons Soldaten auf ihren Feldzügen angefertigt hatten. In einer jener Metallkisten, die Kubrick gerne verwendete, liegen die Kostümentwürfe - opulent aquarellierte Figurinen, deren Detailtreue bestürzt.
Die Napoleonsammlung übt eine merkwürdige Wirkung auf den Betrachter aus: Selbst Jahrzehnte, nachdem das Projekt aufgegeben wurde, ist es, als solle am nächsten Tag mit den Dreharbeiten begonnen werden. Nicht nur das Drehbuch ist in ausreichender Ausfertigung für eine komplette Filmbesetzung vorhanden. Auch den Drehplan zu "Napoleon", in einer handschriftlichen und einer ausgearbeiteten Fassung, konnten die Kubrick- Forscher nun einsehen. In 221 Einstellungen rauscht auf dem Papier Napoleons Leben im Sekundentakt vorbei - von der Kindheit über den Triumph bis zu Abdankung und Exil.
Jede dieser Szenen belegt Kubricks Bemühen, die Figur Napoleon zu durchdringen. Die Kombination aus kühler Intelligenz und Machtwillen, die dem Korsen zum Erfolg verhalf, muß Kubrick ebenso fasziniert haben wie sein Scheitern. Die generalstabsmäßige Planung, mit der Kubrick sich über Jahre hinweg dem Gegenstand seines Interesses genähert hat, dürfte dem Kaiser der Franzosen gefallen haben.
EVA-MARIA MAGEL
Bildunterschrift: |
Zettels Traum: Jeden einzelnen Tag aus dem Leben Napoleons hatte Kubrick für sein Filmprojekt dokumentiert.
Foto Bernd Eichhorn |
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