[Originale aus dem Nachlass von Stanley Kubrick.
Aus den Grauwerten von Polaroids errechneten Stanley Kubrick und Kameramann
Geoffrey Unsworth die Belichtungseinstellungen für die Aufnahmen zu 2001: A
SPACE ODYSSEY.]
Update
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Newsletter No. 17, April 2005
Liebe Kollegen, Freunde und Interessierte,
mit einer sehr erfolgreichen Abschlussveranstaltung und einer Gesamtbesucherzahl von rund
80.000 Personen ist die Ausstellung Stanley Kubrick in Berlin zu Ende gegangen. Nach der
Erstpräsentation in Frankfurt und der zweiten Station im Berliner Martin-Gropius-Bau wird sie
Deutschland nun verlassen und auf internationale Tournee gehen. Einen kleinen Ausblick zu kommenden
bzw. geplanten Stationen finden Sie am Ende des Newsletters.
Immer wieder ist seit der Eröffnung gefragt worden, warum die weltweit erste Ausstellung über den
amerikanisch-britischen Regisseur ausgerechnet in Deutschland bzw. Frankfurt stattfinden konnte,
statt in London oder New York. Darauf pflegte Jan Harlan meistens zu antworten: „Weil die Frankfurter
eben die ersten waren, die gefragt haben.“ Doch auch jenseits dieser Tatsache gab es immer Verbindungen
zwischen Kubrick und Deutschland, die wir hier zum Abschluss noch einmal zusammentragen wollen.
Mit dem Ende der Ausstellung in Berlin verabschiedet sich bis auf weiteres auch der Kubrick-Newsletter.
Im Anhang finden Sie eine verlinkte Übersicht zu allen bisherigen 17 Ausgaben und den jeweiligen
Themenschwerpunkten. Wir hoffen, Sie begleitend zur Ausstellung gut informiert bzw. auch jenen
Lesern etwas geboten zu haben, die die Ausstellung selbst nicht besuchen konnten.
1. Kubrick und Deutschland – Kurzporträts
Kubricks Bezug zu Deutschland betraf zunächst sein filmisches Interesse an deutschsprachigen
Literaturvorlagen und historischen Stoffen, später konkret auch Drehorte und Mitarbeiter. Seine
Fokussierung auf Arthur Schnitzlers
Traumnovelle, deren Verfilmung sein letztes Projekt werden
sollte, reicht Jahrzehnte zurück; noch früher nahm er eine andere Vorlage in den Blick, Stefan
Zweigs
Brennendes Geheimnis. Um 1956 soll eine Drehbuchfassung von Kubrick und Calder Willingham
für MGM entstanden sein, die jedoch nicht weiterverfolgt wurde (dreißig Jahre später verfilmte
¬ Andrew Birkin den Stoff). Ebenfalls unrealisiert blieb das Projekt
The German Lieutenant über
einen deutschen Fallschirmspringertrupp am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Kubrick drehte stattdessen im Frühjahr 1957 PATHS OF GLORY; diese Dreharbeiten fanden
(hauptsächlich aus Kostengründen) in Deutschland statt, in den Münchner Bavaria-Studios sowie
auf Schloss Schleißheim. Kameramann war Georg Krause, der kein Englisch sprach, mit dem sich
Kubrick jedoch eigenen Berichten nach fast wortlos über den visuellen Stil des Films verständigen
konnte. Die junge deutsche Gefangene in der Schlussszene spielte Susanne Christian, seine spätere
Frau
¬ Christiane Kubrick. Ihr Bruder Jan Harlan wurde ab 1969 sein engster Mitarbeiter. Nicht
zuletzt durch den Onkel der beiden, den NS-Regisseur Veit Harlan, blieb die unmittelbare deutsche
Vergangenheit ein wiederkehrendes Thema für Kubrick. Lange Zeit suchte er nach einer geeigneten
Vorlage für einen Film über den Holocaust und fand sie mit Louis Begleys
Wartime Lies; das
Projekt
Aryan Papers blieb unvollendet.
An den Drehort Deutschland kehrte er jedoch noch einmal zurück: für die Arbeit an BARRY LYNDON,
der teilweise in Potsdam, auf der Burg Hohenzollern und im Schloss Ludwigsburg entstand. Auch hier
war wieder die Rolle einer jungen Deutschen zu besetzen: Diana Körner spielte das „Fräulein“, mit dem
Redmond Barry auf seiner Flucht vor dem Militärdienst ein amouröses Abenteuer hat. Die Schauplatzrecherche
übernahm der Szenenbildner
¬ Jan Schlubach. Ihn haben wir bereits porträtiert, ebenso den Production Designer
¬ Sir Kenneth Adam alias Klaus Hugo
Adam als wichtigen Wegbegleiter. In diesem Newsletter wollen wir
vier weitere Personen aus Deutschland vorstellen, die indirekt bzw. im Rahmen eines einzelnen Projektes mit Kubrick in Verbindung traten.
Hardy Krüger
Der kürzlich 77 Jahre alt gewordene Schauspieler und Buchautor Hardy Krüger trat als einer der ersten
Darsteller des deutschen Nachkriegsfilms erfolgreich auch in internationalen Produktionen auf; später wurde
er durch die gleichnamige TV-Serie als „Weltenbummler“ berühmt. Nach früher Jugendzeit auf einem NS-Eliteinternat
und einer ersten Filmrolle als 15-jähriger in dem Propagandafilm JUNGE ADLER (1943) folgte seine
politische „Erweckung“ durch Ufa-Schauspieler, die im Widerstand tätig waren; fortan verstand er sich als
Botschafter eines „anderen Deutschland“. Neben verschiedenen eher harmlosen Unterhaltungsfilmen drehte er in
den 1950ern mit dem emigrierten Regisseur Otto Preminger die deutsche Version von THE MOON IS BLUE (1953) und
mit Helmut Käutner DER REST IST SCHWEIGEN (1959). Sein internationaler Durchbruch war 1957 der englische
Spielfilm THE ONE THAT GOT AWAY. In den folgenden Jahren drehte er mit Regisseuren wie Howard Hawks und Robert
Aldrich an der Seite von Hollywood-Stars wie John Wayne, James Stewart und Anthony Quinn. Häufig wurde er als
deutscher Offizier besetzt. Die Zusammenarbeit mit Kubrick war einer der künstlerischen Höhepunkte seiner Karriere.
In BARRY LYNDON spielte er den preußischen Hauptmann Potzdorf, der den desertierenden Redmond Barry überführt und
in seine Armee holt. Mit Ryan O’Neal stand er unmittelbar danach noch einmal vor der Kamera, in Richard Attenboroughs
A BRIDGE TOO FAR (1977). Das
¬ Deutsche Filmmuseum Frankfurt am Main zeigt bis zum 19. Juni die Ausstellung Hardy
Krüger - Filmstar, Autor, Weltenbummler.
Barbara Baum
Auf eine Empfehlung von Jan Schlubach hin engagierte Kubrick die renommierte deutsche Kostümbildnerin für
Aryan Papers.
Der Beginn ihrer Laufbahn ist mit Rainer Werner Fassbinder verknüpft, mit dem sie bis zu seinem Tod eng
zusammenarbeitete, u.a. DIE EHE DER MARIA BRAUN (1979), BERLIN ALEXANDERPLATZ (1980), LOLA (1981) und LILI MARLEEN (1981).
Seither war sie für deutsche und internationale Filmproduktionen sowie für aufwändige Fernsehproduktionen tätig, u.a.
HOMO FABER (1991), KATHARINA DIE GROSSE (1995), FRÄULEIN SMILLAS GESPÜR FÜR SCHNEE (1997) und zuletzt SPEER UND ER (2005).
Julie Christie schrieb ihr auf ein Foto die Widmung "To my dear brilliant Barbara who made me look so good". Für ihre
Kostüme zu Andrew Birkins THE BURNING SECRET (!) wurde sie 1988 in Venedig ausgezeichnet. 1992/93 gab es ein erstes
Gespräch für
Aryan Papers; in einer längeren Pause drehte sie noch DAS GEISTERHAUS, der ihr 1993 eine weitere
Ehrung für ihr Gesamtwerk einbrachte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit Kubricks hohen Ansprüchen und seinem
knappen Kommunikationsstil wuchs ihre Begeisterung: „Es war eine einmalige Geschichte. Ich bin weder vorher noch
nachher je so an ein Projekt herangegangen.“ Sie arbeitete auf Kubricks Landsitz und unternahm verschiedene
Recherchereisen, kümmerte sich um die Beschaffung von Original-Uniformen, stellte Bekleidungslisten nach den
bereits vorliegenden Drehplänen zusammen und machte in Berlin Kostümproben mit der vorgesehenen Hauptdarstellerin
Johanna ter Steege. Nach dem enttäuschenden Aus für die Dreharbeiten schrieb Kubrick ihr tröstend auf einer
Weihnachtskarte: „All the work will not have been in vain.“ Zu Barbara Baum entsteht derzeit eine Ausstellung in
Kooperation zwischen dem Deutschen Filmmuseum Frankfurt und dem Filmmuseum Potsdam.
Edgar Reitz
Mit HEIMAT (1984), dem wohl größten Projekt der deutschen Nachkriegsfilmgeschichte, wurde Edgar Reitz zu einem
Lieblingsregisseur Stanley Kubricks. Es ist nicht allzu erstaunlich, dass die Detailtreue und der
ungeheure erzählerische Atem des insgesamt fast 1000 Minuten langen Werks Kubricks Bewunderung erregten.
Er sah sich in seinem privaten Kino sämtliche Folgen an und hängte ein Standfoto, das er besonders liebte
(Marias Sarg auf der verregneten Straße von Schabbach) über seinen Schreibtisch. Kubrick nahm damals Kontakt
zu Reitz auf, auch um ihn nach seinem Ausstatter Franz Bauer zu befragen, den er für
Aryan Papers im Auge hatte.
Als er viele Jahre später die Dreharbeiten zu EYES WIDE SHUT beendet hatte, wünschte er, dass bestimmte von ihm
verehrte Regisseure die Synchronfassungen in den wichtigsten europäischen Ländern übernehmen sollten: in Frankreich
Patrice Chereau, in Spanien Carlos Saura, in Italien Bernardo Bertolucci – und in Deutschland Edgar Reitz. Reitz
steckte zwar gerade in den Vorbereitungen für HEIMAT III, erfüllte aber nach dem überraschenden Tod Kubricks den
Wunsch des Regisseurs. Mehr dazu lesen Sie im Ausstellungskatalog
sowie in
¬ Newsletter No 2.
Foto: ©: Bernd Weisbrod
Charles Wilp
Der in Berlin aufgewachsene und zuletzt in Düsseldorf ansässige Künstler und Filmemacher Charles Wilp – von manchen
als „Spinner“ belächelt, für viele ein heimlicher Held der Popkultur – produzierte um 1968 für Afri-Cola die ersten
psychedelischen Werbespots der Fernsehgeschichte, erhielt auf der documenta 5 eine Einzelausstellung als „Konsumrealist“
und vermarktete sich zunehmend selbst als Gesamtkunstwerk. Seine direkten Lehrmeister waren Größen wie Man Ray, Andy
Warhol und – Stanley Kubrick. Bei 2001: A SPACE ODYSSEY arbeitete er als set runner, schaute sich dort wichtige
Techniken des Filmemachens ab und stieß zugleich auf sein künstlerisches Lebensthema: die Schwerelosigkeit, in der
sich seiner Auffassung nach Kreativität erst wahrhaft verwirklicht. Er betitelte sich als ARTronaut, nahm an mehreren
Übungsflügen für Astronautenanwärter teil und schickte seine Kunstwerke als „Kulturgepäck“ an Bord von Satelliten und
Raketen mit in den Weltraum. Selbst ließ er sich auf die Warteliste für einen Flug zu Raumstation MIR setzen. Seinen
größten Traum konnte er jedoch nicht mehr verwirklichen – zu Beginn dieses Jahres verstarb er im Alter von 72 Jahren.
An dieser Stelle noch ein Hinweis: Mehrfach tauchte im Umfeld der Kubrick-Ausstellung seit Jahresbeginn die Frage nach
¬ Arthur C. Clarke auf, den wir im allerersten Newsletter porträtiert haben und hier noch einmal erwähnen wollen. Der
Wissenschaftler, ScienceFiction-Schriftsteller und Mitautor von 2001: A SPACE ODYSSEY lebt seit langer Zeit als
Meeresforscher auf Sri Lanka und war daher unmittelbar der Bedrohung durch den Tsunami ausgesetzt. Seine Tauchstation
wurde komplett zerstört, er selbst hat jedoch die Katastrophe unbeschadet überstanden. Auf seiner
¬ Homepage können
aktuelle Informationen nachgelesen werden.
2. Rückblick: Finissage
Die Abschlussveranstaltung im Berliner Martin-Gropius-Bau war Kubricks größtem und zugleich nie verwirklichtem Projekt
gewidmet:
Napoleon. In einem detailreichen Vortrag berichtete Eva-Maria Magel von ihren Funden im Nachlass und schilderte
den schier unfassbaren Arbeitsaufwand, den Kubrick über die Jahre für
Napoleon betrieben hatte. Im Anschluss gab es
eine Premiere: Der Schauspieler und Autor Hanns Zischler las erstmals aus Kubricks bis dato unveröffentlichtem
Napoleon-Drehbuch. Die von ihm in der Originalsprache vorgetragenen Passagen sollen künftig als Hörproben in den
Napoleon-Bereich der Ausstellung integriert werden. Nach der Lesung hatten die rund 100 Gäste der Finissage noch einmal
Gelegenheit, Fragen an Jan Harlan zu richten, dessen Arbeit für Stanley Kubrick mit dem Napoleon-Projekt begann.
3. Ausblick: Fortsetzung der Ausstellung
Bereits fest steht, dass die Ausstellung Stanley Kubrick in Rom im schönen Palazzo delle Esposizioni zu sehen sein
wird, in fast genau einem Jahr – am 21.4.2006 wird sie dort eröffnet. Vorher gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit
noch eine Station in Melbourne, Australien. Viele weitere Stationen im englischsprachigen Raum werden derzeit noch
verhandelt. Aktuelle Informationen finden sie weiterhin auf der Website. Demnächst ebenfalls hier auf der Website:
neue Panoramaansichten mit erweiterten Navigationsmöglichkeiten aus der Berliner Ausstellung, die die bisherigen
Bilder aus der Frankfurter Ausstellung ersetzen. In Berlin gibt es noch ein kleines Kubrick-Nachspiel: Der Delphi-Palast
zeigt eine neu restaurierte Kopie von BARRY LYNDON, ab 8. Mai immer sonntags als Matinee um 12 Uhr.
Auch sonst muss man in der Zwischenzeit nicht unter Kubrick-Entzug leiden: Endlich erschienen ist die aufwändige
TASCHEN-Publikation
The Stanley Kubrick Archives von Alison Castle (Hardcover + CD + Booklet, 411 x 300 mm, 544
Seiten, USD 200.00 / GBP 100.00 / EUR 150.00).
4. Überblick: alle Newsletter-Ausgaben
¬ No. 1, November 2003 Schwerpunkt: 2001: A SPACE ODYSSEY, Objekt des Monats: Affenkostüm aus 2001: A SPACE ODYSSEY, Porträt: Arthur C. Clarke
¬ No. 2, Dezember 2003 Schwerpunkt: Familie / Weihnachten – THE SHINING / EYES WIDE SHUT, Objekte des Monats: Maske von Tom Cruise aus EYES WIDE SHUT / Zwillingskleidchen aus THE SHINING, Porträt: Sky du Mont
¬ No. 3, Januar 2004 Schwerpunkt: Musik bei Kubrick – A CLOCKWORK ORANGE, Objekt des Monats: Plattenspieler „Hydraulic Reference“ aus A CLOCKWORK ORANGE, Porträt: Wendy Carlos
¬ No. 4, Februar 2004 Schwerpunkt: Kriegsfilme – FEAR AND DESIRE / PATHS OF GLORY / DR.STRANGELOVE / FULL METAL JACKET, Objekte des Monats: Survival Kit aus DR. STRANGELOVE / Helm von Private Joker aus FULL METAL JACKET, Porträt: Matthew Modine
¬ No. 5, März 2004 Werkstattbericht: Aufbau der Ausstellung, Pläne der Ausstellungsräume, Ankündigungen: Ausstellungseröffnung, Filmreihe
¬ No. 6, April/Mai 2004 Nach der Eröffnung: Auswahl Pressezitate, Ankündigung: „Nacht der Museen“
¬ No. 7, Juni 2004 Schwerpunkt: BARRY LYNDON, Objekt des Monats: Zeiss-Objektiv f0.7, Porträt: Jan Schlubach, Ankündigungen: Symposium, Finissage, Jubiläum 20 Jahre Deutsches Filmmuseum
¬ No. 8, September 2004 (Telegramm) Ankündigungen: Ausstellungsfortsetzung in Berlin, eDIT
¬ No. 9, Oktober 2004 Schwerpunkt: Frühe Filme – KILLER’S KISS, THE KILLING, Objekt des Monats: Eyemo-Kamera, Porträt: James B. Harris, Sonstiges: Rückblick eDIT, Neues auf der Website
¬ No. 10, November 2004 Schwerpunkt: Frühe Fotografien, Objekt des Monats: Look-Scrapbook, Porträt: Kubricks Familie
¬ No. 11, Dezember 2004 (Telegramm) Weihnachtsgruß EYES WIDE SHUT
¬ No. 12, Januar 2005 (Telegramm) Ankündigung Ausstellungseröffnung im Martin-Gropius-Bau, Berlin
¬ No. 13, Januar 2005 (Telegramm) Rückblick Eröffnung
¬ No. 14, Februar 2005 Schwerpunkt: Production Design, Objekt des Monats: Djinn-Chairs aus 2001: A SPACE ODYSSEY; Porträt: Kubricks Production Designer (Ken Adam, John Barry u.a.)
¬ No. 15, März 2005 Schwerpunkt: Nicht realisierte Projekte Kubricks – „Napoleon“, Objekt des Monats: Karteikasten für Recherchen zu „Napoleon“, Porträt: Andrew Birkin
¬ No. 16, April 2005 (Telegramm) Ankündigung Finissage
¬ No. 17, April 2005 Schwerpunkt: Kubrick und Deutschland, Porträts: Hardy Krüger / Barbara Baum / Edgar Reitz / Charles Wilp, Rückblick Finissage
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