[Originale aus dem Nachlass von Stanley Kubrick.
Aus den Grauwerten von Polaroids errechneten Stanley Kubrick und Kameramann Geoffrey Unsworth die Belichtungseinstellungen für die Aufnahmen zu 2001: A SPACE ODYSSEY.]
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Newsletter No. 15, März 2005

BITTE BEACHTEN SIE: DER GROSSEN NACHFRAGE WEGEN IST DIE AUSSTELLUNG IM MARTIN-GROPIUS-BAU UM EINE WOCHE BIS ZUM 18. APRIL VERLÄNGERT!

Liebe Kollegen, Freunde und Interessierte,

Stanley Kubrick hat der Nachwelt dreizehn bzw. zwölf öffentlich zugängliche Spielfilme und drei Kurzfilme hinterlassen – ein schmales und doch gewaltiges Oeuvre, in dem jeder einzelne Film seinen besonderen Platz hat und stets auf Jahre akribischer Vorbereitung verweist. In ihrer ureigenen Form und Wirkung sind sie letztlich nur im Kino selbst erlebbar. Ein nicht unwesentlicher Teil von Kubricks Ruhm ist aber auch von Filmen geprägt, die nie auf eine Leinwand gelangten: seine nicht realisierten Projekte. Sie zu präsentieren war von Beginn an ein wichtiges Ziel und einmaliges Potenzial der Ausstellung, die dazu auf umfassendes Material aus dem Nachlass zurückgreifen konnte.

Viele von Kubrick nicht realisierte Filmprojekte stammen aus den 1950er Jahren, als der noch am Anfang seiner Karriere stehende Regisseur sich in verschiedene Richtungen versuchte – darunter The German Lieutnant, der sich um einen Fallschirmspringertrupp am Ende des Zweiten Weltkriegs drehen sollte, oder der Western ONE-EYED JACKS, bei dem schließlich Marlon Brando Regie führte. Bekannter geworden sind Kubricks spätere Filmpläne wie Aryan Papers, ein Holocaust-Drama nach der Romanvorlage Wartime Lies von Louis Begley, nach dem Erscheinen von Steven Spielbergs SCHINDLER’S LIST nicht mehr fortgeführt. Ein weiteres lang gehegtes Projekt war A.I. ARTIFICIAL INTELLIGENCE – nach Kubricks Tod von Steven Spielberg realisiert, dem er zu Lebzeiten bereits die Übernahme der Regie angetragen hatte.

Das berühmteste seiner Projekte jedoch wurde Napoleon, das „als Legende in der Filmgeschichte, als missing link in Kubricks Oeuvre immer noch fasziniert“ (Eva-Maria Magel). In dem fast schon sagenumwobenen, über Jahrzehnte hinweg verfolgten und doch nie verwirklichten Filmvorhaben scheinen sich die Weltsicht des Regisseurs, seine Persönlichkeit und seine Arbeitsweise symbolisch zu verdichten. Diesem Projekt ist denn auch die letzte große Veranstaltung zur Ausstellung in Berlin gewidmet: eine erstmalige öffentliche Lesung aus Kubricks Napoleon-Drehbuch, begleitet von einer Einführung durch Eva-Maria Magel, die im Nachlass intensiv zum Thema recherchiert und einige ihrer Ergebnisse bereits im Katalogbeitrag „The best movie (n)ever made“ vorgestellt hat. Die vorgezogene Finissage findet am 14. April im Martin-Gropius-Bau statt – nähere Details dazu im nächsten Newsletter.

1. Objekt des Monats: der Napoleon-Karteikasten

Kubricks Rechercheaufwand für das Napoleon-Projekt übertraf noch die ohnehin stets umfangreichen Vorarbeiten zu all seinen anderen, fertiggestellten Filmen. Die intensivste Phase der Auseinandersetzung fand in den Jahren 1968/69 statt, als er seine Drehbuchfassung schrieb. Er ließ sich von Historikern beraten, vor allem von dem Napoleon-Experten Felix Markham, den er vertraglich zur Unterstützung verpflichtete und den er bis in kleinste Einzelheiten über Napoleons zentrale Lebensstationen wie auch seine alltäglichen Gewohnheiten befragte. Von Juni 1968 an ließ er mit Hilfe von Markhams Studenten an der Universität Oxford Dossiers zu sämtlichen wichtigen Persönlichkeiten erstellen, die Napoleon umgaben. So entstand eine umfassende Kartei, in der Daten und Namen verzeichnet sind, aber auch Informationen wie z.B. die Wetterlage während einer bestimmten Schlacht. Die farbigen Reiter auf den Karten entsprechen verschiedenen Personen. Der imposante Karteikasten, der von Kubricks Detailbesessenheit sowie von seiner Vorliebe für Ordnungssysteme zeugt, kann in der Ausstellung bestaunt und teilweise eingesehen werden. Auch Bücher aus seiner umfangreichen Napoleon-Bibliothek wurden in die Ausstellung integriert.

Die auf den beschriebenen Recherchen basierende Drehbuchversion von 1969 umfasste rund 150 Seiten; der Film war auf dieser Grundlage mit etwa drei Stunden Länge kalkuliert. Das Großprojekt scheiterte jedoch, als sich erst MGM und dann auch United Artists aus der Finanzierung zurückzogen, maßgeblich bedingt durch den Misserfolg von Sergej Bondartschuks Napoleon-Film WATERLOO (1970) und den generell einsetzenden Trend zu kleinen, weniger monumentalen Produktionen im „New Hollywood“. Kubrick wandte sich daraufhin A CLOCKWORK ORANGE zu, der Adaption des umstrittenen Romans von Anthony Burgess (zugleich schlug er Burgess eine Bearbeitung des Napoleon-Stoffes vor, der tatsächlich 1974 die Napoleon Symphony veröffentlichte, in Anlehnung an Beethovens Symphonie „Eroica“). Anschließend drehte er BARRY LYNDON, nach dem gleichnamigen Roman von Thackeray, mit dem er an viele inhaltliche und technische Vorarbeiten zu Napoleon anknüpfte (darunter auch die Kerzenlichtaufnahmen, mit denen er bereits 1968 experimentiert hatte, damals noch ohne das lichtstarke Zeiss-Objektiv). Er verlagerte seinen Blick hier allerdings von einer zentralen historischen Persönlichkeit zu einer fiktionalen Nebenfigur des 18. Jahrhunderts. Die Faszination an Napoleon ließ ihn dennoch nie ganz los. Jan Harlan: “Napoleon represented for him the worldly genius that at the same time failed.” Bis zu seinem Tod gab es Gerüchte, ob er den Film doch noch einmal würde verwirklichen können – seither bleibt nur die Spekulation, ob auch dieses Projekt möglicherweise von einem anderen Regisseur zu Ende gebracht wird.

2. Kurzporträt: Andrew Birkin

Napoleon markiert den Beginn der Zusammenarbeit Kubricks mit seinem Schwager Jan Harlan, der fortan sein engster Mitarbeiter wurde. Er bereiste mögliche Drehorte in Rumänien und Jugoslawien, um Verhandlungen mit den dortigen Behörden zu führen. Noch jemand ging für Napoleon auf Recherchereise: Andrew Birkin, der als Filmpraktikant bei 2001: A SPACE ODYSSEY begann und später selbst Regisseur und Drehbuchautor wurde. Er ist der ältere Bruder der Schauspielerin Jane Birkin und wurde 1945 in London geboren. Mit 16 verließ er die Schule und ging als Bote ins Londoner Büro der 20th Century Fox. Zwischen 1963 und 1970 assistierte er bei verschiedenen Produktionen, so schließlich auch bei 2001: A SPACE ODYSSEY, wo er eigenen Schilderungen nach zunächst mit Kopieren und Kaffeekochen beschäftigt war. Er zog Kubricks Aufmerksamkeit auf sich, als er für die „Dawn of Man“-Sequenz einen englischen Drehort vorschlagen konnte, der dann allerdings verworfen wurde. Doch Kubrick zeigte sich von Birkins geografischen Kenntnissen und seinem Blick für Motive beeindruckt, und als der Entschluss fiel, in Südafrika Aufnahmen für die Frontprojektion zu machen, schickte er ihn als Fotograf dorthin.

In dieser Eigenschaft sprach er ihn auch für das Napoleon-Projekt wieder an: Er sollte authentische Orte, an denen Napoleon sich aufgehalten hatte, aufsuchen und fotografieren. Birkin, der als Assistent inzwischen auch an der „Magical Mystery Tour“ der Beatles mitgewirkt hatte, reiste 1968 durch Russland, Österreich, Rumänien, Italien und natürlich Frankreich. Von seinen Fahrten brachte er Kubrick neben unzähligen Bildern unter anderem Erde aus Waterloo und eine Kopie der Totenmaske von Napoleon mit. Zu einer weiteren Zusammenarbeit kam es nicht mehr, da das Projekt eingestellt wurde und Birkin zudem eigene Pläne verfolgte. Foto oben: Recherchefoto von Andrew Birkin zu Napoleon, Chateau du Fontainebleau

In den folgenden Jahren schrieb er Drehbücher für Fernsehen und Kino, unter anderem zu einer Mini-Serie über den „Peter Pan“-Schöpfer J.M. Barrie namens THE LOST BOYS (1978) und später zu DER NAME DER ROSE (1986). Mit seinem Regiedebut 1988 realisierte er kurioserweise ein früheres von Kubrick geplantes Projekt: THE BURNING SECRET, die Adaption der Novelle Brennendes Geheimnis von Stefan Zweig. Er inszenierte noch zwei weitere Filme: SALT ON OUR SKIN (1991) und THE CEMENT GARDEN (1992) mit seiner Nichte Charlotte Gainsbourg in der Hauptrolle, der auf der Berlinale für die beste Regie ausgezeichnet wurde. Zuletzt arbeitete er mit Luc Besson am Drehbuch zu JEANNE D’ ARC (1998) und mit dem deutschen Regisseur Tom Tykwer an der Adaption von Patrick Süskinds Das Parfüm, die sich noch in Produktion befindet. Das Thema Napoleon, für das er sich ursprünglich nur mäßig begeistern konnte, hat auch ihn weiter begleitet – zwanzig Jahre nach seinen Reisen verfasste er sogar eine eigene Drehbuchversion, die aber ebenfalls nie realisiert wurde. Ein ausführliches Interview mit ihm findet sich in Rolf Thissen: Stanley Kubrick – der Regisseur als Architekt, München 1999.

3. Rückblick

Die Projekte Aryan Papers wie auch Napoleon wurden während der Berlinale am 16. Februar in der Urania von Eva-Maria Magel und Ronny Loewy vorgestellt. Diese und andere Veranstaltungen zu Kubrick, der im Mittelpunkt der Berlinale-Retrospektive stand, stießen auf breites Publikumsinteresse – auch die Ausstellung verzeichnet stetig steigende Besucherzahlen. Am 18. Februar konnten wir den 25.000. Gast begrüßen, mittlerweile sind es schon fast 50.000.

Drei Wochen nach der Berlinale, am 5. März, fand in Kooperation mit dem Einsteinforum und dem Filmmuseum Berlin der Workshop „Moving Spaces - Aspekte des Labyrinthischen“ statt. Teilnehmer waren Jan Harlan, die amerikanische Filmwissenschaftlerin Claudia Gorbman und der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann, die sich in ihren Vorträgen mit der Raumwirkung in Kubricks Filmen beschäftigten und zugleich dem Thema Musik einen starken Schwerpunkt einräumten.







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