[Originale aus dem Nachlass von Stanley Kubrick.
Aus den Grauwerten von Polaroids errechneten Stanley Kubrick und Kameramann
Geoffrey Unsworth die Belichtungseinstellungen für die Aufnahmen zu 2001: A
SPACE ODYSSEY.]
Update
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Newsletter No. 10, November 2004
Liebe Kollegen, Freunde und Interessierte,
dies ist die zehnte Ausgabe des Stanley Kubrick-Newsletters, der zugleich ein Jahr alt
wird: Im November 2003 haben wir ihn zum ersten Mal verschickt. Nach einer kleinen
Sommerpause erscheint er seit Oktober 2004 wieder regelmäßig – aus diesem Anlass
hatten wir Sie in der letzten Ausgabe um Feedback gebeten. Aus Ihren Antworten ging
hervor, dass Sie mit dem Angebot an Hintergrundinformationen zu Kubricks Filmen und
zur Ausstellung hochzufrieden sind, worüber wir uns sehr gefreut haben. Die Gewinner
der Verlosung werden von uns per E-Mail benachrichtigt. Wir danken allen Einsendern
und würden uns freuen, wenn Sie unseren
¬ Feedback-Fragebogen auch weiterhin für
Anregungen und Kommentare nutzen!
Ein schönes Kompliment kam von einem englischsprachigen Leser: ”I like not only
the information, but the curiosities and the opportunity to see some of the objects
from the exhibition on ‘This month’s object’. […] I could not go to the exhibition in
Frankfurt but I felt like I had gone because of the Multimedia-Präsentation – it is awesome!”
Über Kubrick schreibt er: “He is an inspiration not only to the moviemakers, but to all
artists, because he was committed to art like no one else.” Jenseits der Frage nach dem
Informationswert des Newsletters wollten wir auch von Ihnen wissen, was Sie grundsätzlich
am Werk Stanley Kubricks für besonders wichtig halten. Dazu erhielten wir ganz unterschiedliche
Antworten. Für viele stehen technische Aspekte stark im Vordergrund, denen wir mit gutem
Grund immer viel Raum gewidmet haben. Ebenso findet die Entstehungsgeschichte der einzelnen
Projekte aufgrund von Kubricks stets umfassender Vorarbeit große Beachtung. Ein anderer
Leser nennt schlicht die “Einzigartigkeit” der Filme, mit denen man sich aufgrund ihrer
überschaubaren Zahl so detailliert beschäftigen und dabei ihrer Vieldeutigkeit überlassen könne.
Neben weiteren filmbezogenen Gesichtspunkten wie Bildsprache und Musikeinsatz scheint
doch auch immer wieder der “private” Kubrick von Interesse zu sein. In diesem Zusammenhang
wurde nach der Familie Kubricks und nach ihrer Reaktion auf die Ausstellung gefragt.
Während wir persönliche Informationen sonst eher aussparen, da zu Recht das Werk allein
im Mittelpunkt stehen soll und Kubrick selbst sein Privatleben stets aus der Öffentlichkeit
zurückhielt, wollen wir das Kurzporträt in dieser Ausgabe einmalig seiner Familie widmen.
Stichwort “Familienfotos”: Mit unserem Themenschwerpunkt schauen wir auch noch einmal auf
die Zeit vor den filmischen Anfängen Kubricks zurück – zu seiner Karriere als Fotograf, die
schon im Schulalter begann und früh seine visuelle Begabung zum Vorschein brachte. Wir hoffen,
Ihnen im Vorfeld der Kubrick-Ausstellung in Berlin weiterhin einen lesenswerten Newsletter zu bieten.
1. Objekt des Monats: das Look-Scrapbook
Mit 13 Jahren erhielt Stanley Kubrick von seinem Vater die erste Kamera zum Geschenk. An
der William Howard Taft Highschool wurde er Mitglied des schuleigenen Fotoclubs. Er gab sich
selbst “Aufträge” für Motivstudien aus seinem Umfeld in der Bronx und veröffentlichte einige
davon in der Schülerzeitung. Seine große Stunde schlug am 12. April 1945, als Präsident
Roosevelt starb: Auf dem Schulweg sah er die Schlagzeile an einem Kiosk und fotografierte
den traurig blickenden Zeitungsverkäufer (zu diesem Gesichtsausdruck soll er ihn gezielt
überredet und sein erstes prominentes Bild somit bereits klug inszeniert haben). Die
Aufnahme verkaufte der 16-Jährige noch am selben Tag für 25 Dollar an das
Look Magazine.
Unmittelbar nach seinem Schulabschluss wurde er dort als jüngster staff
photographer
angestellt, den das Magazin je hatte. In der Ausgabe vom 11. Mai 1948 erschien ein kurzer
Artikel über ihn, worin die Kollegen ihn als schon erfahrenen “Veteranen” würdigen. Bis
1951 publizierte Kubrick in Look unzählige Reportagen und Fotogeschichten – Porträts von
Schauspielern und Jazzgrößen, Berichte von Kunstvernissagen und Glamour-Ereignissen ebenso
wie subtile Sozialstudien. Auch eine Reportage über den Boxer Walter Cartier mit dem Titel
“Prizefighter” war dabei, auf die er später für seinen ersten Kurzdokumentarfilm DAY OF THE
FIGHT zurückgriff. Seine Mutter Gertrude legte ein Scrapbook mit den herausgetrennten
Artikeln aus Look an; handschriftlich sind die Erscheinungsdaten festgehalten. Die
aufgeschlagene Seite auf dem Bild zeigt das “F.D.R. dead”-Foto sowie die Reportage “N.Y.
World Art Center” – auf dem Stuhl sitzt der emigrierte Maler George Grosz. Das Scrapbook
können Sie in der Ausstellung im Bereich „Jazz – Schach – Foto“ besichtigen.
2. Porträt: Kubricks Familie
Kubricks Eltern unterstützten stets die Begabungen ihres Sohnes, der gut situiert
inmitten der Bronx aufwuchs. Sein Vater, der Arzt Jaques L. Kubrick, ermutigte Stanley
zum Fotografieren und machte ihn darüber hinaus mit der Literatur wie mit dem Schachspielen
vertraut – beides blieben wichtige Konstanten in Kubricks Leben. 1934 wurde Kubricks
Schwester Barbara geboren, zugleich war es das Jahr seiner Einschulung – an der Schule
zeigte er jedoch, trotz oder wegen seiner überdurchschnittlichen Intelligenz, ausgesprochen
geringes Interesse und verließ sie 1945 mit einem wenig glorreichen Abschluss. Zu diesem
Zeitpunkt war er bereits ein professioneller Fotograf. In der
Look-Reportage “What’s your
idea of a good time?” von 1946 ist auf einem Bild Toba Metz zu sehen, seine langjährige
Freundin von der Highschool, die er 1948 heiratete und mit der er nach Greenwich Village zog.
Sie unterstützte ihn als Dialogregisseurin und Scriptgirl bei seinem ersten Spielfilm FEAR
AND DESIRE (1951-1953). Seine zweite Ehefrau war die Tänzerin Ruth Sobotka. Sie war 1938
mit ihren Eltern aus Wien emigriert und soll Kubrick mit Schnitzlers
Traumnovelle bekannt
gemacht haben. Darüber hinaus führte sie ihn in New Yorker Avantgarde-Künstlerkreise ein,
in denen sie verkehrte; 1947 war sie in Hans Richters surrealistischem Film DREAMS THAT
MONEY CAN’T BUY in einer von Man Ray gestalteten Episode aufgetreten. In Kubricks zweitem
Film KILLER’S KISS (1955) ist sie als Tänzerin zu sehen.
Seiner eigentlichen großen Liebe, mit der er ein Leben lang verheiratet blieb, begegnete
Kubrick jedoch 1957 während der Dreharbeiten zu PATHS OF GLORY in München: Die Schauspielerin
Susanne Christian, geborene Christiane Susanne Harlan, spielte die gefangene Deutsche in der
Schlussszene. Sie begleitete ihn anschließend während der Dreharbeiten zu SPARTACUS nach
Hollywood – zusammen mit Katharina, ihrer Tochter aus erster Ehe mit dem Schauspieler
Werner Bruhns, die Kubrick zeitlebens wie sein eigenes Kind behandelte. 1958 und 1960
wurden die beiden gemeinsamen Töchter Anya und Vivian geboren. Nach Aufenthalten in London
während der Dreharbeiten zu LOLITA und einer Zwischenstation in New York, wo Christiane
Kubrick ihrer eigentlichen Passion nachging und Malerei studierte, ließ sich die Familie
schließlich endgültig in England nieder. Kubricks Töchter wurden später alle selbst
künstlerisch tätig und wirkten teilweise an seinen Filmen mit. Anya Kubrick hat ihre
eigene Opernkompanie, Katharina Kubrick wurde wie ihre Mutter Malerin und arbeitete im
Art Department vieler erfolgreicher britischer Filmproduktionen; vier Gemälde von ihr
sind in EYES WIDE SHUT zu sehen. Vivian Kubrick trat in 2001: A SPACE ODYSSEY im Alter
von fünf Jahren als Tochter von Dr. Floyd auf; als Erwachsene drehte sie die Dokumentation
MAKING OF THE SHINING und komponierte unter dem Pseudonym Abigail Mead die Musik zu FULL
METAL JACKET.
1969 begann Kubricks Zusammenarbeit mit Christianes Bruder Jan Harlan, der für das geplante
Napoleon-Projekt recherchierte und in den folgenden Jahren zu Kubricks engstem Mitarbeiter
und Executive Producer wurde. In seiner Dokumentation STANLEY KUBRICK: A LIFE IN PICTURES
(2001), dem ebenso materialreichen wie persönlichen Porträt seines 1999 verstorbenen Schwagers,
zeigt Harlan Kubrick als arbeitsbesessenen Regisseur, aber auch als liebenden Familienvater –
weit ab aller Klischees vom unnahbaren und frauenverachtenden Eremiten, die in der Presse
immer wieder über ihn verbreitet wurden.
Die Kooperationsbereitschaft und herzliche Offenheit von Christiane Kubrick und Jan Harlan
ermöglichte die sorgfältige Aufarbeitung des umfangreichen Archivs durch das Deutsche
Filmmuseum ab 2002 und schließlich die Präsentation eines Teils davon in der Ausstellung.
Die Materialauswahl fand in enger Abstimmung statt. Mit der Gestaltung der Schau sind
Kubricks Angehörige eigenen Aussagen nach sehr glücklich.
3. Kubrick-Ausstellung in Berlin: Kooperationen
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin (20. Januar - 11. April 2005) wird vom
Hauptstadtkulturfonds und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Die Filme von
Stanley Kubrick werden bei den 55. Internationalen Filmfestspielen Berlin (10. - 20.
Februar 2005) zu sehen sein, die Wiederholungen finden im Zeughauskino des Deutschen
Historischen Museums statt (23. Februar - 6. März 2005). Die Berlinale widmet ihre
Retrospektive unter dem Titel “Schauplätze – Drehorte – Spielräume” der Wirkung und
dem Metier des Production Designs. Die Filmreihe umfasst 45 internationale Filme aus
den vergangenen 65 Jahren; dabei wird den stilbildenden Filmen Kubricks wie 2001:
A SPACE ODYSSEY, DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB
oder THE SHINING ein besonderer Platz eingeräumt. Im Filmmuseum Berlin – Deutsche
Kinemathek wird vom 9. Februar bis zum 19. Juni 2005 die Ausstellung “Bewegte Räume.
Production Design im Film” gezeigt. In dieser Ausstellung sind aufgrund der Kooperation
mit dem Deutschen Filmmuseum Frankfurt a. M. ebenfalls Exponate zu Kubrick-Filmen zu sehen.
Weitere Infos:
¬ www.berlinale.de
4. Hinweis zum Schluss
In den Zuschriften zum Newsletter wurde unter anderem vorgeschlagen, die vorliegenden
Texte jeweils in ganzer Länge und mit Bebilderung als HTML-Mail oder PDF zu verschicken.
Wir haben uns jedoch bewusst dafür entschieden, für den Versand kürzere Versionen zu
erstellen – der schnellen Übersicht wegen. Für Interessierte bieten wir zur Vertiefung immer
die ausführliche Version auf der Website.
Von mehreren Nutzern positiv erwähnt wurden Neuerungen und Specials auf der Website wie
die
¬ Panorama-Bilder aus der Ausstellung oder auch das
¬ Tagebuch von Matthew Modine. In diesem
Monat können wir Ihnen die erweiterte
¬ Filmografie vorstellen, die Bilder und kompakte Texte
zu Inhalten und Produktionshintergründen der Filme enthält.
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