[Originale aus dem Nachlass von Stanley Kubrick.
Aus den Grauwerten von Polaroids errechneten Stanley Kubrick und Kameramann Geoffrey Unsworth die Belichtungseinstellungen für die Aufnahmen zu 2001: A SPACE ODYSSEY.]
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Newsletter No. 4, Februar/März 2004

Liebe Kollegen, Freunde und Interessierte,

niemand, der sich mit dem Werk von Stanley Kubrick befasst, kann sich dem einen Sujet entziehen, zu dem der Regisseur selbst immer wieder zurückgekehrt ist - dem Krieg. In seinem allerersten, allegorischen Spielfilm FEAR AND DESIRE (1953) ließ er vier Soldaten durch ein fiktives Niemandsland irren und im "Feind" schließlich ihr eigenes Spiegelbild erkennen. Sein vierter Film PATHS OF GLORY (1957), der ihm den eigentlichen Durchbruch brachte und zugleich in mehreren Ländern der Zensur zum Opfer fiel, spielt im Ersten Weltkrieg und erzählt von den Machtspielen korrupter Generäle. Mit der Groteske DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (1964) setzte er mitten im Kalten Krieg dem Irrsinn des nuklearen Wettrüstens ein unvergessliches satirisches Denkmal; und mit seinem vorletzten Film FULL METAL JACKET (1987) nahm er sich schließlich des Vietnamkriegs an, schonungsloser als jeder vor ihm. Auch in SPARTACUS und in BARRY LYNDON sind es nicht zuletzt die gewaltigen Schlachtenszenen, die in Erinnerung bleiben. Sein Opus magnum 2001: A SPACE ODYSSEY indes verdichtet die Evolution des dauerhaften Kriegszustandes der Menschheit in einem einzigen Schnitt - vom Knochen, den ein Affenmensch eben als Waffe zu nutzen gelernt hat, über Millionen Jahre hinweg zum Militärsatelliten im Weltraum. Aber, so hält Georg Seeßlen im Ausstellungskatalog fest: "Kubrick beschreibt den Krieg mitnichten 'fatalistisch', wie es ihm manche Kritiker vorgeworfen haben, sondern vielmehr in der [...] Erkenntnis der vollständigen Absurdität."

1. Werkstattbericht

FEAR AND DESIRE darf nach Stanley Kubricks Wunsch, der von seinen Angehörigen geachtet wird, weiterhin nicht im Kino gezeigt werden. In der Ausstellung jedoch werden Werkfotos aus dem Nachlass zu sehen sein, die die Entstehung seines ersten Langspielfilms nachzeichnen. Die Dreharbeiten fanden im Frühjahr 1951 in den San Gabriel Mountains bei Los Angeles unter einfachen Bedingungen mit einem kleinen Team statt; die Postproduktion zog sich aus finanziellen Gründen bis 1953 hin. Kubrick selbst bezeichnete FEAR AND DESIRE in späteren Äußerungen als prätentiöses Amateurwerk, während zeitgenössische Kritiker sich - speziell von seiner Kameraarbeit - durchaus beeindruckt zeigten.

PATHS OF GLORY spielt in Kubricks Leben und Werk eine besondere Rolle. Der Film wurde damals aufgrund der günstigen Kosten in Deutschland gedreht. Dabei lernte Kubrick die Schauspielerin Susanne Christian (geb. Christiane Susanne Harlan, später Christiane Kubrick) kennen, mit der er bis an sein Lebensende verheiratet war. In der Schlussszene hat sie einen Auftritt als gefangene Deutsche, die das Lied vom "treuen Husaren" singt und damit die johlende Meute der Soldaten zuerst zum Schweigen, dann zum traurigen Miteinstimmen bringt. Diese ebenso zentrale wie berührende Szene ist entscheidender Bestandteil der Installation im Ausstellungsbereich zu PATHS OF GLORY.

2. Objekt des Monats

An Bord des von Major T.J. "King" Kong gesteuerten B 52-Bombers aus DR. STRANGELOVE hat Stanley Kubrick als Requisit des Kalten Krieges ein kurioses Survival Kit plaziert. Wer die Ausstellung besucht, kann dort auch Teile des vielseitigen Inhalts bestaunen - darunter die mit russischem Wörterbuch kombinierte Miniaturbibel. Den Gesamtbestand verliest Major Kong bei einer Sicherheitskontrolle während des Fluges wie folgt: "Survival Kit contents check. In them you will find: one 45 caliber automatic, two boxes of ammunition, four days concentrated emergency rations, one drug issue containing antibiotics, morphine, vitamin pills, pep pills, sleeping pills, tranquilizer pills, one miniature combination Rooshan phrase book and Bible, one hundred dollars in rubles, one hundred dollars in gold, nine packs of chewing gum, one issue of prophylactics, three lipsticks, three pair of nylon stockings - shoot, a fellah could have a pretty good weekend in Vegas with all that stuff...." An dieser Stelle sollte ursprünglich nicht von "Vegas", sondern von "Dallas" die Rede sein - die Formulierung wurde nach dem Attentat auf Kennedy nachträglich verändert. Aus demselben Grund war auch eine just für den 22. November 1963 geplante Sondervorführung kurzfristig abgesagt worden, wie aus einer von Kubrick kommentierten Einladungskarte hervorgeht.

3. Porträt: Matthew Modine alias Private "Joker"

Ein weiteres Exponat ist der Helm aus FULL METAL JACKET. Die groteske Kombination aus der Aufschrift "Born to kill" und einem angehefteten Friedenszeichen verweist auf die Widersprüche des Protagonisten Private "Joker". Getragen hat den Helm Matthew Modine, der diese Figur in all ihrer Zwiespältigkeit so eindrücklich verkörpert hat. Der 1960 geborene Schauspieler, der heute selbst als Regisseur arbeitet, war auf dem Filmfestival von Venedig für STREAMERS (Robert Altman, 1983) als bester Darsteller ausgezeichnet worden und hatte ironischerweise bereits in BIRDY (Alan Parker, 1984) einen traumatisierten Vietnam-Heimkehrer gespielt, als ihn Kubrick für die Hauptrolle in FULL METAL JACKET auswählte. Über seine damalige Arbeit äußert er sich in einem Interview: "Wenn ich Filme über Krieg mache, dann eben nur solche wie Robert Altmans ‚Streamers', wie ‚Full Metal Jacket' oder ‚Birdy'. Sie zeigen den Krieg auf eine Art, von der ich glaube, daß sie unromantisiert eine gewisse Wahrheit transportieren. Film ist politisch und vor allem wirklich machtvoll, und Stanley Kubrick hat das besser verstanden als jeder andere." (In: Schnitt Nr. 16, S.48). Matthew Modine wird dem Deutschen Filmmuseum Tagebuchaufzeichnungen und Fotos von den Dreharbeiten zur Verfügung stellen, die demnächst an dieser Stelle zugänglich gemacht werden.

Zur Rolle von "Joker" und zur Spanne zwischen Kubricks früheren und späteren Kriegsbildern, die rund 30 Jahre umfasst, sei hier abschließend noch einmal aus Georg Seeßlens Katalogbeitrag zitiert. "Es führt mehr als ein Weg von PATHS OF GLORY über BARRY LYNDON zu FULL METAL JACKET: Im ersten Film waren die einzelnen Soldaten noch Opfer einer kalten, zynischen Militärmaschine, die bedenkenlos das Individuum opfert, wenn es um das Fortkommen an der Spitze geht; in BARRY LYNDON sehen wir die Soldaten in einen sinnlosen Tod marschieren, nicht nur als ‚Schlafwandler' ohne eigenen Willen, sondern auch schon wie magisch angezogen vom feindlichen Feuer, ohne jeden Impuls zur Flucht. In FULL METAL JACKET schließlich sind die Soldaten nicht mehr allein Opfer dieser Maschinerie des Krieges, sie sind ihr Teil. Der Wahnsinn ist nicht mehr Sache der oberen Ränge, er ist allfällig, eine Trennung von Opfern und Tätern [...] ist nicht mehr möglich. Auch Joker ist dabei, vielleicht sagt es schon der Name, ein vollkommen schizophrener Mensch, ein Intellektueller, der sich mit einem Friedenszeichen schmückt und der in der Maschine des Krieges beinahe noch besser funktioniert als alle, die nur funktionieren wollen."

4. Tipps und Termine

Der Katalog zur Ausstellung ist am 1. März in Druck gegangen und wird pünktlich zur Eröffnung am 30. März erscheinen.
Eine ¬ Kurzbeschreibung können Sie schon jetzt nachlesen und ein Bestellformular ausdrucken.





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